Notizenbuch

Über das Warten, den Prager Frühling und ein Stück Prinzregententorte.               

Ein Mann an einer Bushaltestelle, eine Fliege auf einem Stück Käse, ein Hotel irgendwo am Mittelmeer.

Alltägliche und banal erscheinende Situationen, die pointiert mit der Lupe betrachtet und dabei die Zeit angehalten wird. Liebevoll, aber auch ernst besehen, erscheinen dabei unbeachtet bleibende Details. Mitten in die Geschichte hineinspringend und sie genauso wieder verlassend, bringen unerwartete Wendungen zum Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken. Die Beobachtungen, Gedanken und Interpretationen führen Euch vielleicht zu eigenen Gedanken und Erinnerungen, die Euch in Eure eigene Biografie zurückführen können und mit selbst Erlebtem vergleichen lassen. Einige der Geschichten wurden von Jutta Neugebauer mit liebevollen und bewusst einfach gehaltenen Zeichnungen unterstrichen.

Hier findet Ihr ein paar Auszüge aus den 75 Kürzestgeschichten und ich würde mich sehr freuen, wenn sie Euch gefallen und Appetit auf mehr machen.

Das Buch ist online erhältlich, bei Eurem bevorzugten Buchhandel, bei Books on demand und natürlich bei Amazon.

Bei einem Filmfest im Foyer darauf warten, dass man Einlass bekommt. Die vorherige Vorstellung ist noch nicht beendet, im Saal wird wohl noch angeregt über den vorangegangenen Film diskutiert.

Sich also in einen Sessel setzen, die Augen schließen, einfach warten. Im Brabbeln der anderen Wartenden eine angenehme Hintergrundmusik empfinden. Keinen Zeitdruck haben, weder Hunger, noch Durst. Es ist angenehm warm, der Sessel bequem. Zeit haben, um Menschen zu beobachten, die sich teils ruhig, teils angeregt unterhalten. Manche warten auch einfach nur, ohne etwas zu tun. Es gibt hier im Souterrain keinen Netzempfang. So sind die Besucher sich selber, ihren Begleitern und Nachbarn ausgeliefert.

Dann amüsiert und schmunzelnd einen Besucher beobachten, der von einem Fuß auf den anderen tritt, immer wieder demonstrativ den linken Arm hebt, auf die Uhr schaut, unwirsche Laute ausstößt und dann ruft, es könne sich ja jetzt nur noch um Stunden handeln.

Der Vorhang wird mit Schwung aufgezogen, das Fenster im Obergeschoss geöffnet. Die selbst beim Putzen immer perfekt frisierte und mindestens mit dunklem Lippenstift geschminkte Nachbarin hält ihren regenbogenfarbenen Polyesterstaubwedel mit schwarzem Stiel aus dem Fenster, klopft ihn dreimal an der Gaube ab und holt ihn wieder rein. Sie schließt energisch das Fenster, zieht mit ebensolchem Schwung den Vorhang zu. Etwa drei Minuten später öffnet sie den Vorhang wieder schwungvoll, öffnet das Fenster, hält den Staubwedel raus, klopft ihn erneut dreimal ab, holt ihn wieder rein, schließt Fenster und Vorhang. So geht es eine gute halbe Stunde, jeden Sonntagmorgen zwischen halb zehn und zehn.

Vom Esstisch in der Küche beobachtet er dieses wöchentliche Schauspiel. Fast richtet er sein Frühstück so ein, damit er dieses für ihn unverständliche Vorgehen beobachten kann. Was mag die Nachbarin wohl abstauben? Warum lässt sie das Fenster zwischen ihren Staubwedelausklopf-Momenten nicht auf? Warum öffnet sie ihr Fenster nie länger als diese fünf Sekunden? Am liebsten würde er bei ihr mal Mäuschen spielen.

Die sechs Stunden lange Zugfahrt konnte sie ihn geschickt verbergen. Vielleicht war der eine oder andere Passagier auf ihn aufmerksam geworden und hatte sich seinen Teil gedacht. Gemessen an seinem Äußeren kann man sich durchaus ein falsches Bild von ihm machen. Das ist verständlich, ihr aber ziemlich egal. Trotzdem verbarg sie ihn lieber, denn in Deutschland können nur wenige Menschen im positiven Sinne etwas mit ihm anfangen.

Wer ist „er“? Das erfahrt Ihr im „Notizenbuch.

Sie gehen im herbstlichen Wald spazieren, auf einem Schleichpfad abseits des breiten Weges. Der schmale Pfad schlängelt sich zwischen Farnen hindurch, über Wurzeln und Steine. Das Laub raschelt unter ihren Füßen. Es duftet nach Moos, Pilzen und welkenden Blättern. Kurz bleiben sie stehen und schauen auf den kleinen Fluss, der sich unterhalb des Waldes entlang schlängelt und in der Sonne glitzert.

Was begegnet den beiden? Das erfahrt Ihr im „Notizenbuch“.

Dieter. Es war schon lässig, wie er in nicht enden wollenden Deutsch-, Geschichts- und Werte-und-Normen-Kursen seine Pullover strickte. Man kannte ihn gar nicht ohne seinen ausgebeulten Juterucksack, der eine undefinierbare Farbe hatte und mehr Strickzeug als Schulbücher enthielt. Die Wolle, natürlich nur mit Naturfarben gefärbte, grobe Schurwolle, kaufte er immer als Strang in Teeläden, deren süßlicher Geruch vermutlich nicht nur durch Räucherstäbchen entstand. Erst wurden die Knäuel gewickelt, dann legte er los mit langen Rundstricknadeln, auf denen nach und nach Meisterwerke wuchsen, die nur aus einem einzigen Stück zu bestehen schienen. Komplizierte Muster, für die die Fäden mehrerer Wollknäuel gleichzeitig langsam wie haarige Raupen aus seinem Rucksack kletterten. Und immer mit Rollkragen, sodass er nie einem Schal brauchte.

Es war auch lässig, wie er dann seine Pullover unter einem verwaschenen Bundeswehrparka mit der obligatorischen Drahtbürste in der linken Brusttasche und mit superengen Wrangler-Jeans trug. Mittelscheitel und breite Boots aus ungefärbtem Leder rundeten den Look ab. 

Natürlich gehörte er zu der Clique von Jungs, die nach dem Sportunterricht duschten.

Wie geht es mit Dieter weiter? Lest es im „Notizenbuch!

Sie treten aus dem Haus hinaus in die Kühle des jungen Herbsttages. Die Sonne blinzelt zwischen den Ästen der Bäume hindurch. Es ist Sonntag, acht Uhr morgens. Fast mag man die Autotür nicht zuschlagen aus Sorge, jemanden unsanft zu wecken. Bei einem alten Auto machen Türen und Kofferraum nun mal mehr Lärm, bis sie geschlossen sind. Leise fahren sie an.

Die Hauptstraße ihres Dorfes führt an einer Pferdekoppel vorbei. Die Pferde darauf ruhen noch.

Eine Frau mittleren Alters fällt ihnen auf, die entgegen der Fahrtrichtung die Straße entlangläuft. Sie trägt einen eleganten, leuchtend lilafarbenen Overall, ein dünnes graues Jäckchen, eine Abendtasche und recht hochhackige, der Situation nicht gerade angemessene Schuhe. Während die Frau erstaunlich schnell läuft, tippt sie etwas in ihr Handy ein.

Werden wir erfahren, warum sie hier entlang läuft? Lest weiter im „Notizenbuch“.